Bericht: „Wir brauchen eine deutliche Linie“

„Wir brauchen eine deutliche Linie“

Im Rahmen der Auftakt-Events zur Wahlkampfkampagne von Bündnis90/Die Grünen war der Journalist Jakob Wilke–Yilmaz am Montag zu Gast bei Bundestagskandidat Tobias B. Bacherle in Leonberg. Thema des Abends: „Der besiegte Sieger-wohin steuert die Türkei?“ Mit dem Vortrag setzten die Bündnisgrünen ihre Veranstaltungen mit außenpolitischen Schwerpunkten fort.
Der Journalist und Türkei-Experte Wilke hat lange Zeit in der Türkei gelebt und berichtet regelmäßig in internationalen Kulturmagazinen und online Portalen über die aktuellen Entwicklungen. Tagtäglich müssen wir feststellen, wie sehr sich die Türkei von Europa entfernt. Jüngster Höhepunkt: die Verhaftung deutscher Menschenrechtler.
Jakob Wilke begann seinen Vortrag mit dem Putschversuch am 15. Juli 2016, den er als Augenzeuge in Istanbul erlebt hat: Er habe den Tag noch gut im Gedächtnis, die ersten Nachrichten über einen möglichen, bevorstehenden Militärputsch erhielt er in Istanbul via Twitter während er im Teehaus saß. Die Folgen dieser Nacht sind bekannt: mehr als 250 Tote und 3.000 Verletze, das knappe Referendum und die Entwicklung der Türkei zu einem autokratischen Staat mit den bekannten Säuberungswellen durch Entlassungen. Was sich genau an diesem Abend des 15. Juli in Istanbul ereignet hat, weise weiterhin viele Ungereimtheiten auf: Warum wurde zwar das staatliche Fernsehen von den Putschisten besetzt, aber nicht die privaten Sender, wie agierte der türkische Geheimdienstchef und wie ist die Rolle der Gülen-Bewegung?
Wilke zeichnet in seinem Vortrag ein äußerst vielschichtiges und komplexes Bild über den aktuellen Zustand der Türkei: Den Prozess der Machtkonsolidierung, begleitet von Säuberungs- und Entlassungswellen vergleicht er mit einer Zwiebel, die gehäutet wird und sich mehr und mehr auf ihren Kern reduziert. Eine entscheidende Rolle auf dem weiteren Weg der Türkei komme der Opposition zu. Zwar habe der von der republikanischen Volkspartei CHP initiierte Gerechtigkeitsmarsch im Juni und Juli wieder Hoffnung aufkommen lassen. Die Opposition in der Türkei ziehe aber, um schlagkräftig zu sein, zu wenig an einem Strang. „Es gibt keinen einheitlichen Konsens für effektive Oppositionsarbeit, da reicht nicht die Freude über einen gemeinsamen Marsch, hier braucht es mehr Zusammenarbeit und Ausdauer“, so Wilke.
Im Anschluss ergaben sich im Gespräch mit Tobias B. Bacherle und den Zuhörern jede Menge Fragen, wie mit den aktuellen Problemen umzugehen sei. Zum Beispiel mit der Besuchsverweigerung deutscher Parlamentarier und der Androhung Erdogans, in der Türkei die Todesstrafe wiedereinzuführen.
„Es muss in diesen Punkten gegenüber der Türkei eine deutliche Linie gefahren werden, vor allem wenn deutsche Bürger von Repressalien betroffen sind“, verdeutlichte Bacherle die Standpunkte der grünen Türkeipolitik. Langfristig sei es wichtig, Verbündete vor Ort zu suchen und gezielt demokratische Gruppen im Land zu unterstützen. „Und nicht zuletzt tun wir gut daran eigene Imame auszubilden, wir brauchen langfristig eine islamische Theologie, die sich gegen Einflüsse wehren kann. Hier ist es der falsche Weg im Ausland Imame ausbilden zu lassen und deren Arbeit dann aus dem Ausland finanzieren zu lassen.“