Wir begrüßen ausdrücklich und uneingeschränkt das Ziel des vorliegenden Antrags, Maßnahmen zum Kampf gegen Antisemitismus auf den Weg zu bringen und jüdisches Leben in Deutschland zu stärken und zu schützen. Dies halten wir in Anbetracht zunehmender antisemitischer Bedrohungen für unbedingt notwendig.
Jüdisches Leben und jüdische Kultur sind in all ihrer Vielfalt seit mehr als 1700 Jahren ein zentraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Angesichts der deutschen Geschichte, der Shoah, der Entrechtung, Verfolgung und grausamen Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden stehen wir in der besonderen Verantwortung, jüdisches Leben in all seiner Vielfalt in Deutschland zu stärken und zu schützen. Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir mit hoher Priorität entschieden gegen jeglichen Antisemitismus einstehen. Antisemitismus aus allen Bereichen unserer Gesellschaft ist auf das Schärfste zu verurteilen. Jegliche antisemitische Bedrohungen sind nicht hinnehmbar und benötigen unseren vollumfänglichen Schulterschluss als demokratische Kräfte in der Bundesrepublik. Der Schutz von Jüdinnen und Juden vor Antisemitismus und Stärkung gesellschaftlicher Debattenräume für jüdische Perspektiven ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Öffnung und der Schutz gesellschaftlicher Räume für Jüdinnen und Juden muss auch die Vielfalt jüdischer Stimmen gesellschaftlich abbilden. Es ist unsere Stärke als stabile Demokratie, dass wir auch kritischen Perspektiven und innerjüdischen Debatten in Deutschland ein sicheres Umfeld bieten können.
Es ist essenziell, dass alle Menschen in Deutschland und weltweit frei von Diskriminierung und Vorurteilen leben können. Jede Form von Benachteiligung aufgrund ihrer Herkunft oder Religion widerspricht den Grundwerten unserer Gesellschaft und der Freiheit von Kultur, Wissenschaft und Dialog. Die deutsche Politik fördert daher aktiv den Austausch und die Zusammenarbeit mit Organisationen in Israel und den palästinensischen Gebieten. Hierfür dürfen wir Spielräume nicht einengen.
Eine besondere Rolle kommt hierbei der Friedensarbeit israelischer und palästinensischer Organisationen zu. Denn die Sicherheit Israels ist ein besonderes Anliegen, das jedoch nur im Kontext einer stabilen und sicheren Region, insbesondere auch für die Palästinenser*innen, erreichbar ist.
Gerade in den aktuellen Zeiten ist es notwendig, dass internationale Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaften, die sich friedlich für Frieden, Völkerverständigung und Freiheit einsetzen, in den Regionen und aktuell besonders in Nordafrika und dem Nahen Osten auch im regionalen Kontext politischer Sozialisierungen möglich bleibt. Gerade diese internationale Zusammenarbeit ist es, die bei politischen Dissonanzen auch Brücken zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Perspektiven bauen kann. Auch in Zeiten von Krieg, Konflikt und Polarisierung müssen wir der Verantwortung einer demokratischen globalen Gesellschaft gerecht werden.
Die ideologischen Wurzeln von Antisemitismus sind vielfältig und müssen differenziert benannt werden, ohne dabei einzelne Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht zu stellen. Pauschalisierende Aussagen, die Antisemitismus vornehmlich als „importiertes“ Problem von Migranten aus Nordafrika und dem Nahen Osten bezeichnen, schüren antimuslimischen Rassismus und schaden dem Ansehen Deutschlands weltweit. Die Formulierungen in politischen Anträgen sollten daher sensibel gestaltet werden, um schädliche, rassistische Narrative zu vermeiden und die außenpolitischen Beziehungen und wichtige Brücken zu stärken.
Aus guten und richtigen Gründen besteht in Deutschland eine besondere Sensibilisierung und muss mit deutlicher Haltung und Absage reagiert werden, wo klar antisemitische Narrative bedient werden und Israel das Existenzrecht abgesprochen wird. Gleichzeitig müssen wir auch im demokratischen Diskurs zwischen klarem und zu verurteilendem Antisemitismus und legitimer Kritik an der Verfasstheit und Regierungspolitik Israels ebenso wie der innenpolitischen Debatte unterscheiden können. Kritische Äußerungen dürfen nicht zum Ausschluss der Kooperationsfähigkeit und Zusammenarbeit führen.
Breite Teile der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur, Völker- und Verfassungsrechtler*innen, jüdische Intellektuelle, politische Stiftungen, israelische und jüdische Holocaustforschende sowie 15 israelische Menschenrechtsorganisationen haben in den letzten Monaten massive Bedenken geäußert, ob die im Antrag formulierte umfassende inhaltliche und haushalterische Überprüfung von Inhalten in Wissenschaft, Kunst und Kultur dem Grundgesetz standhalten können. Dieses breite zivilgesellschaftliche Bündnis schlug konkrete Alternativformulierungen vor mit dem Ziel, jüdisches Leben in seiner Vielfalt durch Staat und Zivilgesellschaft im Rahmen des Rechts zu schützen ohne andere Minderheiten außer Acht zu lassen. Dialog, Bildung und Aufklärung stehen in diesen Forderungen zur Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung im Vordergrund.
Wir sind überzeugt, dass es klare und konsequente Maßnahmen zum Schutz und der Stärkung des jüdischen Lebens bedarf. Die Alternativresolution eines breiten zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses bietet aus unserer Sicht hierfür gute und sinnvolle Maßnahmen.
Aufgrund der dargelegten Argumente dieser persönlichen Erklärung haben wir jedoch Zweifel, ob der Antrag in der jetzigen Form nachhaltig Schutz des jüdischen Lebens in seiner Vielfalt leisten kann.
Aus diesen Gründen enthalten wir uns.
Tobias B. Bacherle MdB
Deborah Düring MdB
Erhard Grundl MdB
Tabea Rößner MdB
Michael Sacher MdB
Merle Spellerberg MdB
Kassem Taher Saleh MdB