Veröffentlich auf Instagram & Facebook am 2. März 2025:
Ich wollte hier nicht einfach eine vorschnelle Analyse hinterlassen. Auch jetzt sind meine Gedanken noch nicht final sortiert und sicherlich nicht vollständig. Und zugegeben, nach dieser Bundestagswahl musste ich auch erst einmal durchatmen, mich sortieren und mich Aufgaben widmen, die sich ungewohnt anfühlten: Verträge kündigen, mein Team bei der Jobsuche unterstützen. Denn dem 21. Deutschen Bundestag werde ich nicht angehören.
Jetzt ist es Zeit für ein riesengroßes Dankeschön. Danke für 27.409 Erststimmen für mich und 28.451 Zweitstimmen für uns Bündnisgrüne im Wahlkreis Böblingen. Ja, auch hier haben wir verloren. 13,5 % für mich und 13,95 % für meine Partei sind insbesondere angesichts des unglaublich engagierten Wahlkampfs von so vielen Helfenden nicht das, was wir uns erhofft haben.
Aber: Das erste Mal seit 1994 liegen wir im Wahlkreis Böblingen über dem Landesschnitt. Der krasse Einsatz hat sich also gelohnt!
Dennoch habe ich den Wiedereinzug in den Bundestag nicht geschafft. Das gehört zur Demokratie, und dennoch bedauere ich es sehr. In Berlin meine Heimat vertreten zu dürfen, unserem Land, den Menschen hier und unserer Freiheit in der Herzkammer der Demokratie dienen zu dürfen, war eine große Ehre. Diese Verantwortung zu tragen, war ein Privileg – eines, das ich nie als selbstverständlich angesehen habe.
Dafür möchte ich Danke sagen.
In politisch aufgewühlten, krisenhaften Zeiten ist es ungewöhnlich, sich ein paar Tage Zeit zu nehmen. Die Krisen prasseln weiter auf uns ein. Ich verstehe, wenn vielen angesichts des täglichen Trumpismus, seltsamer kleiner Anfragen und der Sorgen um die Ukraine und unsere Sicherheit eine Woche wie ein ganzer Monat vorkommt.
Dennoch: Auch diese Wahl war geprägt von Krisen. Hohe Inflation und ein Verlust der Kaufkraft sind immer ein Brandbeschleuniger für radikale Kräfte. Dass Robert Habeck die Inflation erfolgreich bekämpft, die Energiekrise gut gemanagt und sich direkt um die Ursachen dieser Probleme gekümmert hat, war zwar effektiv. Trotzdem holen viele Löhne erst in diesem Jahr grob die Preissteigerungen auf. Und wir müssen uns als Bündnisgrüne eingestehen: Unser Fokus, die Probleme bei der Wurzel zu packen und die Energiekrise als Ursache der Preissteigerungen nachhaltig zu bekämpfen, Vorkehrungen zu treffen, dass sich diese Abhängigkeiten nicht mehr so wiederholen, war richtig, aber zu komplex, um es knackig rüberbringen zu können. Ja, die Welt ist komplex, und ja, unser bündnisgrünes Versprechen ist es auch, diese Komplexität anzuerkennen. Die Lang- und Mittelfristigkeit in einer aufmerksamkeitsökonomisch getriebenen Welt wieder stärker in politischen Debatten zu verankern, wird die größte Aufgabe der kommenden Jahre.
Zugleich hat die Linkspartei erfolgreich verschleiert, dass sie kaum konkrete, realpolitisch greifbare Antworten auf die Krisen unserer Zeit liefert. Versteht mich nicht falsch, eine mahnende Stimme ist wichtig. Aber so wie Friedrich Merz’ Wirtschaftspolitik einem „Fingers-crossed-es-wird-schon-besser“ gleichkommt, so hofft die Linke dieser Tage, dass wir in Deutschland und Europa uns schon nicht verteidigen müssen. Ich ächze ob dieser Naivität, gerade in Anbetracht der Entwicklungen der letzten Tage.
Aber zugleich: Am Schluss verblieb die Union als de facto unsere einzige Regierungsoption, und ich verstehe alle, die sich auch nicht mittelbar an einem Kanzler Merz beteiligen wollten. Ob er Kanzler für unser ganzes Land sein kann, statt in Bierzelten ein gutes Drittel der Wähler*innen zu beleidigen, wird sich zeigen. Und dennoch war Verantwortungsethik, Veränderungswille und der Wunsch, unsere Erfolge zu erhalten, in meinen Augen richtig und kein Gegensatz zu klarer Haltung.
Hier rächt sich in meinen Augen der größte Fehler der Ampel: wir haben uns zu wenig gegenseitig gegönnt. Vor lauter Streit sind die Erfolge untergegangen. Das Selbstbestimmungsgesetz, die Cannabislegalisierung oder die Abschaffung des Informationsverbots über Schwangerschaftsabbrüche, genauso wie die vielen Beschleunigungsgesetze, die unseren Strom so sauber wie noch nie gemacht haben und den Atomausstieg ermöglicht haben. Aber auch auf das alles dominierende Thema Migration haben wir klare Antworten gegeben: das Fachkräfteeinwanderungs-gesetz, das Chancenaufenthaltsrecht, der Spurwechsel, die Abschaffung vieler Arbeits-verbote für Geflüchtete, der Aufenthaltstitel Ausbildung sowie das neue Staatsangehörig-keitsrecht, aber auch der Einstieg in ein gemeinsames europäisches Asylsystem, um das dysfunktionale Dublin-III-Verfahren abzulösen.
Persönlich konnte ich Massenüberwachungs-phantasien wie die Chatkontrolle abwehren, das Dateninstitut auf den Weg bringen und an einer schlanken Umsetzung des EU AI-Acts arbeiten.
Danke, dass ich Teil dieser Veränderung sein konnte. Und danke an alle, die mich dabei begleitet und unterstützt haben: Alle Wahlkämpfenden, mein Kreisverband, mein OV Sindelfingen, aber insbesondere mein Team. Danke an Nina, Lea, Eva, Hannah, Phil, Marc & Jasmine für Eure großartige Arbeit!
Gerne hätte ich weiter im Deutschen Bundestag für unsere Freiheit gekämpft. Das Erbe von Bündnis 90 erhalten und weiterleben lassen. Für mehr digitale Souveränität gesorgt. Sicherlich werde ich dies nun an anderer Stelle tun.
Bis dahin: Lasst uns alle weiterhin die Kraft sein, die unsere Lebensgrundlagen schützt – und damit Freiheit, Wohlstand und Demokratie verteidigt. Die Kraft, mit der ich dankbar in den letzten dreieinhalb Jahren meinen Weg gegangen bin.
Und bei diesem Ergebnis vielleicht besonders wichtig: Lasst euch nicht einreden, dass eine klare Haltung und pragmatische Lösungen ein Widerspruch sind. Beides ist essenziell für unsere Demokratie und um unseren wahren Gegnern entgegenzutreten.